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Ganz schön provokativ: Die fünf Mythen der Revitalisierungsökologie

Fünf Mythen, so sagen Hilderbrand et al. (2005), halten sich hartnäckig in der Revitalisierungsökologie. Sie beeinflussen, wie wir Ziele setzen und Projekte bewerten. Die Autoren empfehlen, Revitalisierungsprojekte als Experimente zu sehen, aus denen aktiv gelernt werden kann. Neue Ansätze sollen bewusst nebeneinander getestet und miteinander verglichen werden. Damit erhöht sich auch die Reaktionsfähigkeit von revitalisierten Flussabschnitten gegenüber ausserordentlichen Ereignissen wie grösseren Hochwassern.

Ein Beitrag von Christine Weber zum Thema: Von Altbekanntem und Brandneuem – Revitalisieren als Lernprozess.

Gibt es Mystik auch in der Revitalisierungsökologie? Ja, so postulierten drei amerikanische Wissenschaftler (Hilderbrand et al. 2005). Sie verglichen verschiedene Revitalisierungsprojekte miteinander, v.a. an Fliessgewässern und in Feuchtgebieten. Dabei identifizierten sie fünf gängige Annahmen oder eben Mythen, die in der Revitalisierungsökologie oft unkritisch weitergegeben werden, aber nicht in jedem Fall auch eintreffen müssen:

  • Durchschlag („Carbon Copy“) – Annahme: Die Entwicklung eines revitalisierten Abschnitts verläuft nach einem klaren Muster hin zu einem statischen, vorhersehbaren Endpunkt wie er z.B. aus historischen Referenzbedingungen abgeleitet wird. Gegenbeispiel: Flussökosysteme bestehen aus einem hochdynamischen Mosaik an verschiedensten Lebensräumen. Diese reagieren unterschiedlich auf Revitalisierungsmassnahmen. Zudem haben sich Umweltbedingungen grossräumig u.U. grundsätzlich verändert. Entsprechend ist eine Vielzahl an dynamischen Endpunkten möglich.
  • Traumland („Field of dreams“) – Annahme: „Baue und sie werden kommen“. Werden die abiotischen Strukturen eines Gewässers wiederhergestellt, dann werden sich auch die Organismen-Gemeinschaften entsprechend entwickeln. Gegenbeispiel: Neben der Flussmorphologie beeinflussen zahlreiche andere Faktoren die Besiedlung eines revitalisierten Flussabschnitts, so beispielsweise die Vernetzung, die Wasserqualität oder Hydrologie.
  • Schnellzugstempo („Fast forwarding“) – Annahme: Die Entwicklung von Revitalisierungsprojekten lässt sich künstlich beschleunigen, z.B. durch Bepflanzung. Gegenbeispiel: Unter Umständen werden wichtige Entwicklungsschritte übersprungen, wie z.B. in der Bodenentwicklung. Entsprechend hat man es mit einem unreifen System zu tun, in dem sich wichtige ökologische Funktionen noch nicht einstellen können.
  • Kochbuch (Cookbook) – Annahme: Ansätze, die sich in einem System bewährt haben, lassen sich erfolgreich auf ähnliche Systeme übertragen. Gegenbeispiel: Systeme, die sich strukturell ähnlich sehen, können sehr unterschiedlich funktionieren. Entsprechend kann die Entwicklung eines Revitalisierungsprojekts ziemlich anders verlaufen.
  • Volle Kontrolle („Command and Control“) – Annahme: Durch geeigneten Unterhalt lässt sich die Entwicklung von revitalisierten Abschnitten steuern und kontrollieren. Gegenbeispiel: Steuerung und Kontrolle verkommen dann zur kostspieligen Sisyphus-Arbeit, wenn Hauptbeeinträchtigungen nicht behoben wurden und entsprechend anhaltende Symptome bekämpft werden..

Müssen zahlreiche gängige Annahmen in der Revitalisierungsökologie also unter „Märchenstunde“ abgebucht werden? So wollen die Autoren nicht verstanden werden – das Übertragen von Erfahrungen sei schliesslich zentraler Bestandteil des Lernprozess. Sie ziehen aber folgende Schlussfolgerungen:

  • Mythen haben durchaus ihren Wert, da sie helfen, komplexe Systeme in einfach vermittelbare Modelle zu übersetzen.
  • Alle Annahmen und Übertragungen sind als solche zu behandeln und bewusst zu hinterfragen, insbesondere im Planungsprozess.
  • Fliessgewässer sind sehr dynamisch, die Bedingungen können räumlich und zeitlich stark schwanken. Zudem lässt sich die Zukunft nur schwer vorhersehen, d.h. wichtige Schlüsselfaktoren können sich verändern. Entsprechend empfiehlt es sich, Zielsetzungen nicht fix auf die aktuellen Bedingungen und Herausforderungen auszurichten. Vielmehr sollen sie vorausschauend definiert werden, z.B. unter Formulierung unterschiedlicher möglicher Endpunkte.
  • Revitalisierungsprojekte sind als Experimente zu betrachten, in denen Ansätze bewusst getestet und untereinander verglichen werden können. So wächst unsere „Werkzeug- und Erfahrungsbox“ aktiv und kontinuierlich weiter.
  • Ziel von Revitalisierungsmassnahmen müssen Flusssysteme sein, die auch auf ausserordentliche Ereignisse wie grössere Hochwasser reagieren können. Diese Reaktionsfähigkeit ist in vielfältigen Projekten meist erhöht.

Hilderbrand RH, Watts AC, Randle AM. 2005. The myths of restoration ecology. Ecology and Society 10(1): 19.

 
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