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Land unter: Revitalisierungsprojekte bei Hochwasser

Das Wasser tost, das Kies rollt, die Aue wird überflutet – ein Hochwasser mittlerer Grösse bahnt sich den Weg. Ökologische Schlüsselprozesse können dabei ablaufen, gerade auch in revitalisierten Flussabschnitten. Mit einem raffinierten Feldexperiment haben nordschwedische Forschende jedoch gezeigt, dass Revitalisierungsprojekte oft nicht auf diese ökologisch wichtigen Ereignisse ausgerichtet sind. Vielmehr orientiert sich die Ausgestaltung an Mittelwasserbedingungen. Die Forschenden plädieren für eine verstärkte Berücksichtigung von Hochwasserereignissen in Planung, Umsetzung und Wirkungskontrolle von Revitalisierungsprojekten.

Ein Beitrag von Christine Weber

„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“. Der griechische Philosoph Heraklit hat diesen Ausspruch vor über 2000 Jahren ursprünglich auf den Lauf des menschlichen Lebens gemünzt. Kurz und knapp hat er damit aber auch ein Hauptcharakteristikum von Fliessgewässern illustriert: Die meisten Fliessgewässer sind ausgeprägter Dynamik unterworfen. Am offensichtlichsten ist dies bei Hochwasser, wenn beispielsweise voralpine Flüsse wie die Berner Zulg grosse Mengen von Geröll und Holz mobilisieren (Der Bund, 6.7.2012). Hochwasser haben eine zerstörerische Kraft. Gleichzeitig sind sie von zentraler Wichtigkeit für das Ökosystem Fliessgewässer, lösen sie doch ökologische Schlüsselprozesse aus: Neue Kiesbänke entstehen, Feinsedimente werden ausgespült, die den Porenraum der Flusssohle verstopfen, Organismen oder Samen werden in neue Lebensräume verfrachtet.
Gelingt es, mit einem Revitalisierungsprojekt auch solche Schlüsselprozesse wieder zu reaktivieren? Dieser Frage ging ein nordschwedisches Forschungsteam nach. In Nordschweden werden seit gut 20 Jahren Fliessgewässer revitalisiert. Auch wenn die nordschwedischen Flüsse aus Schweizer Perspektive recht naturnah wirken, sind sie doch wesentlich strukturärmer als noch vor 150 Jahren. Um das Flössen von Holz zu vereinfachen, wurden zu dieser Zeit alle allfälligen Hindernisse systematisch entschärft, d.h. grosse Blöcke und Schwemmholz wurden aus dem Flussbett entfernt, Seitenarme abgekoppelt. Heute werden bei der Revitalisierung denn auch grosse Blöcke und Schwemmholz wieder eingebracht und abgeschnittene Seitenarme wiederangebunden.

Die Schwedischen Forschenden interessierten sich besonders für die Ablagerung von Pflanzensamen am Ufer, einem für die Wiederbesiedlung der revitalisierten Abschnitte zentralen Prozess. Viele Uferpflanzen breiten sich übers Wasser aus. Dazu bilden sie schwimmfähige Samen. Die Samen werden vor allem während Hochwasser mobilisiert, wenn die Ufer überspült und die Samen abgeschwemmt werden. Auf der Wasseroberfläche treiben teils Hunderttausende von Samen flussabwärts bis sie an den Ufern und auf den Auenflächen abgelagert werden. Sind die Bedingungen geeignet, keimen sie aus.
Wie misst man nun aber die Ablagerung von kleinen Pflanzensamen – und dies sowohl bei niedrigem Abfluss wie auch während einem Hochwasser? Die Schwedischen Forschenden haben dazu einen raffinierten Trick genutzt, einen zweiteiligen Ansatz. Einerseits haben sie „Samenfallen“ an den Ufern angebracht, in unterschiedlicher Distanz zum Wasser. Diese Fallen bestehen aus ca. 0.5m2 grossen, rechteckigen Matten aus grobem Kunstrasen, in dem sich die Samen verfangen. Mit diesen Samenfallen lässt sich auszählen, wie viele Samen von welchen Pflanzenarten wo transportiert und abgelagert wurden. Die Fallen wurden in drei Flüssen in je drei Abschnitten ausgebracht, d.h. total in drei beeinträchtigten und sechs revitalisierten Abschnitten.
Andererseits führten die Forschenden in denselben neun Abschnitten ein Feldexperiment durch, in dem sie die Samenablagerung mit einer genau bekannten Anzahl künstlicher Samen oder Samenattrappen nachspielten. Dazu verwendeten sie kleine Holzwürfel in zwei verschiedenen Grössen, die ein vergleichbares Schwimmverhalten haben wie die Samen der häufigsten Uferpflanzen. Die Samenattrappen brachten sie während Mittel- und Hochwasser aus. Wenige Stunden nach dem Einbringen suchten sie die Flussabschnitte systematisch nach den Samenattrappen ab. In der Niedrigwasserphase verwendeten sie zusätzlich Netze am unteren Ende der untersuchten Abschnitte.

Und wie fielen die Resultate aus? Wie erwartet, lagerten sich in den revitalisierten Abschnitten generell mehr Pflanzensamen ab als in den beeinträchtigten. Diese Beobachtung bestätigte sich sowohl für die Samenfallen als auch für die Samenattrappen. Der höhere Strukturreichtum ist dafür verantwortlich, wobei Schwemmholz die Ablagerung der Samen mehr begünstiigte als die grossen Blöcke. Wider Erwarten fiel die Ablagerung bei Mittelwasser in den revitalisierten Strecken aber generell höher aus als bei Hochwasser. Zudem wurden bei Mittelwasser die Samen an Stellen abgelagert, an denen ein erfolgreiches Auskeimen oder Etablieren der Pflanzen wenig wahrscheinlich ist.

Aus ihrer Studie zogen die Forschenden vier Schlussfolgerungen:

  • Revitalisierungsprojekte, die zu naturnäheren Strukturen führen, können die Ablagerung von Pflanzensamen erhöhen.
  • Die Wirksamkeit von Revitalisierungsprojekten kann je nach Abfluss unterschiedlich sein. Viele Revitalisierungsprojekte sind auf Mittelwasserabfluss ausgerichtet, d.h. sie erreichen ihre höchste Wirksamkeit, beispielsweise für die Ablagerung von Samen, während durchschnittlichen Abflüssen.
  • Viele ökologische Schlüsselprozesse laufen jedoch bei Hochwasser ab, so auch die Mobilisierung von Pflanzensamen. Wird dies in der Planung von Revitalisierungsprojekten vernachlässigt, kann dies zu einer reduzierten Wirkung führen, beispielsweise indem Pflanzensamen an für die Keimung ungünstigen Standorten abgelagert werden und sich nicht etablieren können.
  • Für eine verbesserte Wirkung von Revitalisierungsmassnahmen lohnt es sich Hochwasserereignisse vermehrt in die Planung, Umsetzung und Wirkungskontrolle einzubeziehen.

Engström, J., Nilsson, C. & Jansson, R. (2009) Effects of stream restoration on dispersal of plant propagules. Journal of Applied Ecology, 46, 397-405.

 
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